Essays by Dieter Kermas – (Part 9)
.Die Soldateska
Einige Tage später, ich war gerade auf der Straße, begegneten mir seltsame Gefährte auf der Lusdorfer Straße. Es waren Pferdewagen mit Planen, die von einem oder zwei recht struppigen Pferdchen gezogen wurden. Auf den Kutschböcken saßen kleine erdbraun gekleidete Männer mit Mützen, an denen die gefütterten Ohrenklappen auf und nieder schwappten. Doch wie war ich erstaunt über die Gesichter der Männer. So etwas hatte ich noch nicht gesehen.
Ich hatte keine Angst, sondern sah sie mir beim Vorbeifahren genau an. Die Menschen hatten kleine Schlitzaugen, eine gelbliche Hautfarbe und trugen durchweg dünne Schnurrbärte mit lang herunterhängenden Enden. Es waren Mongolen, die die Aufgabe hatten, in den besetzten Gebieten Furcht und Schrecken als Strafe zu verbreiten.
Ich rannte nach Hause, um davon zu berichten. Dort wussten alle schon, was nun folgen würde. Mutter und ich wurden im Dachgeschoss in einer Nische zwischen Schornstein und einer Wand versteckt. Vater schob noch einen Schrank vor unser Versteck und schärfte uns ein leise zu sein. Drei Tage und Nächte wütete die Soldateska, und man hörte selbst hier im Versteck das Geschrei und das Weinen von Frauen und Kindern. Ich verstand nicht, was passierte und war ganz still vor Angst.
Am zweiten Tag polterten Stiefel die Treppe zu unserer Wohnung hoch. Dann folgte eine laute Unterhaltung, in der ich auch Vaters Stimme deutlich hören konnte. Mutter erzählte mir später, dass sie sehr um das Leben von Vater gebangt hatte. Kaum waren die Stimmen verstummt, als Vater zu uns auf den Boden kam und uns etwas zu Essen brachte. Als Mutter fragte, warum es so laut zugegangen sei, antwortete er: » Das erzähle ich euch später « und verschwand wieder nach unten. Am dritten Tag waren die wilden Horden weitergezogen, und wir konnten es wagen, das Versteck zu verlassen. Mutter eilte sofort aus dem Haus, um Lebensmittel zu besorgen.
Am Abend erzählte Vater dann seine Erlebnisse der letzten drei Tage. Kaum waren die Mongolen weitergezogen, kamen am dritten Tag Russen der regulären Truppe. Wie sollte es anders sein, auch zwei von ihnen verirrten sich zu uns in die Wohnung. Sie stöberten ein wenig in der Wohnung, fanden nichts Interessantes und forderten dann laut » Wodka! «. Vater schüttelte den Kopf und sagte »Nein«.
Sie glaubten ihm nicht, gingen noch einmal in das Schlafzimmer, sahen auf der Frisierkommode eine Halbliterflasche mit Eau de Cologne stehen. Vater schüttelte den Kopf. Der Finder jedoch grinste, öffnete die Flasche, roch daran, verdrehte die Augen, setzte sie an den Mund und trank in einem Zug die halbe Flasche leer, ehe ihm sein Kamerad die Flasche entreißen konnte. Der Rest der Flasche verschwand in Nummer Zwei. Die Hoffnung, dass sie nun umfallen müssten, erfüllte sich zum Glück nicht, denn nach dem sie vergeblich nach mehr verlangt hatten, trollten sie sich leicht schwankend, aber gut duftend aus unserer Wohnung.
Ausweisung – Reichsdeutsche gen Westen
Einige Wochen später klopfte es nachts leise an unserer Haustür. Mutter eilte nach unten. Als sie wieder nach oben kam, weckte sie zuerst Vater, um zu berichten, was der späte Besucher gewollt hatte.
Es war eine Tschechin, die Oma seit langer Zeit kannte, die gekommen war, um uns zu warnen. Sie hatte Mutter in aller Eile berichtet, dass am nächsten Morgen der Befehl verkündet würde, dass alle » Reichsdeutschen «, das waren Vater, Mutter und ich, innerhalb von zwei Stunden den Ort zu verlassen hätten. Oma durfte vorerst noch bleiben, da sie hier geboren war und immer gelebt hatte. Nun hatten wir einige Stunden mehr Zeit um unsere Sachen zu packen. In aller Eile wurden wertvolle Dinge, wie Schmuck und Geld, in die Kleider eingenäht.
Vater suchte noch in fieberhafter Eile ein paar, nach seiner Meinung wertvolle Briefmarken aus seiner Sammlung heraus, die ich in meinen Mantel eingenäht bekam. Ich verstand nur soviel, dass ich vorläufig nicht wieder hierher zurückkommen würde. Ich nahm einen Hammer und zerschlug meinen Schmetterlingskasten, weil ihn kein anderer haben sollte. In aller Eile erhielt Oma noch Anweisungen eine Kassette, in der Gustav einige wichtige Papiere und unter anderem einen sehr wertvollen Ring aufbewahrte, zu einem späteren Zeitpunkt irgendwo sicher zu vergraben.
Dann brach der Morgen des 27. Mai 1945 an, Lautsprecherwagen fuhren durch die Straßen und forderten die Reichsdeutschen auf die Stadt innerhalb von zwei Stunden zu verlassen und nur das Nötigste mitzunehmen. Wir hatten in der uns zur Verfügung stehenden Zeit einen kleinen Leiterwagen vollgepackt und machten uns auf den Weg. Anfangs wussten wir nicht wohin wir gehen sollten. Oma gab uns den Rat, zuerst zu einer bekannten Familie nach Bad Schwarzbach zu gehen.
So zogen wir, einem ungewissen Schicksal entgegen, die Lusdorfer Straße in Richtung Bad Schwarzbach. Später erzählte mir Mutter, dass sie beim Vorbeilaufen am Schaufenster des Ladens unserer Hauswirtin gesehen hatte, dass das immer dort stehende Hitlerbild gegen eine rote Fahne über Nacht ausgetauscht worden war. Doch auch Frau Fuchs musste, wie Oma, Neustadt einige Zeit später verlassen. So zogen wir mit einigen anderen Reichsdeutschen einem ungewissen Schicksal entgegen. Ein kurzes Stück hinter Neustadt befand sich auf der Lusdorfer Straße die Grenze.
Es war die Grenze zwischen dem Sudetenland und dem Deutschen Reich.
Wir trafen in Schwarzbach ein und fanden unsere erste Bleibe bei der uns von Oma genannten Familie. Das Haus lag, wenn man von Neustadt kam, kurz hinter dem Dorfanfang auf der linken Seite. Hier konnten wir für die nächsten Tage in einer Stube wohnen.
Gewagtes Unterfangen
Bereits am nächsten Tag geschah etwas Unvorhergesehenes. Mutter stellte plötzlich fest, dass sie ihre Fuchspelzjacke in Neustadt vergessen hatte. Diese wollte sie nun holen. Ehe Vater dies verhindern konnte, war sie bereits draußen auf der Straße, um eine Möglichkeit zu finden, nach Neustadt zu fahren.
Diese Möglichkeit näherte sich in Gestalt eines der bereits beschriebenen Panjewagen der Russen. Mutter stellte sich auf die Straße, hielt das Pferdegespann an, gestikulierte mit den auf dem Kutschbock sitzenden Russen und stieg zu. Vater erzählte später, dass er dachte, dass wir Mutter nie wiedersehen würden.
Stunden vergingen und Vater lief unruhig im Zimmer auf und ab. Ich machte mir, weil ich die Situation nicht einschätzen konnte, weniger Gedanken und spielte mit anderen Kindern im Hof des Hauses.
Am späten Nachmittag, Vater hatte alle paar Minuten aus dem Fenster gesehen, erblickte er ein aus Neustadt kommendes Pferdefuhrwerk der Russen und eine quietschvergnügt vom Wagen springende Adele. Sie erzählte uns dann, dass sie keinerlei Probleme, weder mit den Russen, noch mit den in Neustadt verbliebenen Einwohnern, gehabt hätte.
Im Gegenteil, an der Grenzstelle hatten die Tschechen Mutter erkannt und wollten den Wagen anhalten. Die Russen jedoch, so berichtete sie, spuckten nur einige Sonnenblumenkörnerschalen in Richtung der tschechischen Grenzer und fuhren ohne Halt weiter nach Neustadt. Die Fuchspelzjacke, die sie unter diesen nicht ungefährlichen Umständen gerettet hatte, schafften wir während der ganzen Flucht zu behalten. Erst in Görlitz ließen wir sie bei Familie Burckert zurück, um sie später wieder abzuholen.
(Fortsetzung der Serie am nächsten Sonntag)
Photo Credit : Dieter Kermas
———————————————————————————————————————————————

Let us know what you think!