Der Einkauf
(Eine Kurzgeschichte von Dieter Kermas)
.Eine Mutter kauft mit ihrer kleinen Tochter Janine beim Discounter ein.
Als Janine vor dem Obstregal steht und sich Apfel für Apfel aus dem Karton nimmt, und jeden nach eingehender Betrachtung wieder zurückwirft, mahnt die Mutter:
„Wirf bitte die Äpfel nicht zurück, sondern lege sie wieder vorsichtig in den Karton, weil andere Käufer auch nicht gerne angestoßenes Obst haben wollen. Das gilt auch für das Gemüse.“ Das Mädchen nickt verständnisvoll.
Kurz darauf sieht die Kleine wie eine Kundin recht unsanft mit beiden Händen in den Tomaten herumwühlt, einige von den Stengeln abreißt, betrachtet und dann wieder zurück in die Ablage wirft.
„Mama hat gesagt, man soll Obst und Gemüse nicht so herumwerfen. Wir wollen keine zerquetschten Tomaten“, gibt sie ihr frische erworbenes Wissen an die Kundin weiter. Diese sieht kurz auf und sagt: „Das geht dich gar nichts an“, und wühlt weiter.
Ein älterer Mann, der neben dem Mädchen steht, redet plötzlich so laut, dass Janine zusammenzuckt, „Ja, warte mal, ich stehe vor den Tomaten und weiß nicht welche ich kaufen soll. Ja, alle sind rot, aber da gibt es Strauchtomaten, Rispentomaten, Cherrytomaten und noch so ´ne andere Sorte. Ist gut Mausi, dann nehme ich die, die im Angebot sind, “ und steckt das Handy wieder in die Jackentasche.
Ohne auf die anderen Kunden zu achten, rennt das Mädchen zurück zur Mutter, um ihr das Erlebte zu berichten. An der Ecke vom Konservenregal läuft sie direkt in eine junge Frau hinein, die beide Arme voll mit Waren hat. Ein Brot, eine Tüte Milch, vier Bananen und eine Packung Käse landen auf dem Boden.
„Kannst du nicht aufpassen wohin du rennst“, wird sie von der Frau angeschnauzt, die nun versucht die Ware aufzuheben, wobei ihr die unter dem Arm geklemmte Apfelsaftpackung auch noch herunterfällt.
„Das habe ich nicht gewollt“, entschuldigt sich die Kleine bei der Kundin.
Janines Mutter hatte die Szene mitbekommen und sagt:
„Weißt du, ich habe noch nie verstanden, warum manche Leute keinen Einkaufswagen nehmen, und sich lieber die Arme voller Ware laden, um dann manchmal die Hälfte davon wieder zu verlieren.“
„Darf ich mir Bonbons aussuchen“, bettelt das Mädchen, worauf die Mutter zustimmend nickt. Kurz darauf hört sie Janine laut „Uieh, ist das kalt“, rufen.
Sie läuft sofort zu dem Regal mit den Süßigkeiten und sieht wie ihre Tochter eine tropfende Packung Tiefkühlspinat in der Hand hält.
„Mama, das lag hier zwischen den Gummibärchen.“ Die Mutter nimmt das angetaute Spinatpäckchen und bringt es zu einer der Einsortiererinnen, die es wortlos in einen leeren Karton wirft.
„Warum lag das zwischen den Gummibärchen?“, will die Kleine wissen.
„Das kann ich dir auch nicht erklären, das kommt oft vor, die Leute sind heutzutage eben so.“
Nachdenklich sieht das Kind seine Mutter an und meint:
„Aber richtig ist das nicht, oder?“ „Nein, natürlich nicht, es liegt sicher daran, dass diese Menschen solch ein Verhalten als Kinder von ihren Eltern gesehen haben“, versucht die Mutter zu erklären. Die Kleine überlegt einen Moment und fragt dann weiter:
„ Aber wenn die dann Kinder haben, machen die das dann auch so?“
„Ja, leider“, bestätigt die Mutter resigniert.
Ehe sie an der Kasse angekommen sind, findet das Mädchen noch eine Leberwurst zwischen den Kindersocken und eine Packung Leberkäse im Brotregal. An der Kasse packen die beiden den Einkauf auf das Band und Janine streckt sich lang, um den Trennstab zu erreichen. Diesen legt sie ans Ende der gekauften Ware. Dann sieht sie, dass zwischen ihrem Einkauf und der Ware davor kein Stab liegt.
„Mama“, fragt sie, „soll ich dort auch einen Stab hinlegen?“
Die leicht genervte Mama antwortet:
„Nein, wenn da kein Stab liegt, dann kann die Kundin unsere Ware vielleicht mit bezahlen!“ Die letzten Worte hat die vor ihnen stehende Kundin gehört, dreht sich um und sagt unwirsch: „Soweit kommt das noch, legen sie doch einen Stab hin, wenn sie wollen.“
An der Kasse ist diese Kundin schneckenlangsam damit beschäftigt den gewünschten Betrag in Münzen aus dem Portemonnaie zu klauben. Das dauert und dauert. In der Warteschlange wird bereits gemurrt. Da werden Münzen herausgenommen, wieder zurückgelegt, und erneut auf den Tresen gelegt. Als es der Kassiererin nun ebenfalls zu lange dauert, bietet sie an, den Betrag selbst aus der Börse zu nehmen.
„Nein“, das möchte ich nicht, ich habe doch heute nur meine Brille vergessen“, wehrt die Kundin ab.
Eine Stimme aus der Warteschlange:
„Die kenne ich, das sagt sie jedes Mal!“
Nachdem der Zahlvorgang endlich abgeschlossen ist, sind sie an der Reihe und werden mit einem „Hallo“ von der Kassiererin begrüßt.
Nach dem Einkauf fragt die Tochter:
„Sag mal Mama, warum begrüßt uns die fremde Frau mit „hallo“, die tut ja so als ob sie uns schon lange kennt?“
„Das ist heute der Umgangston,“ antwortet die Mutter. Früher wurde man mit einem „Guten Tag“ begrüßt und mit einem „ Auf Wiedersehen“ verabschiedet.
Als beide im Auto sitzen, holt das Mädchen tief Luft und sagt: „Heute war das Einkaufen aber richtig spannend.“ Die Mutter nickt etwas zerstreut und meint:
„Darauf könnte ich gerne verzichten!“

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