Essays by Dieter Kermas – (Part 8 )
.Eine Warnung
Der Herbst rückte näher und die militärische Lage war für Deutschland katastrophal. Ich merkte davon nichts und freute mich, wenn ich mit Oma Pilze suchen durfte und am Waldrand Brombeeren naschen konnte.
Dieser Friede wurde jäh unterbrochen, als es eines Nachts an unserer Haustür Sturm läutete. Mutter war zuerst am Fenster, um zu sehen, wer da wohl Einlass begehre. Vater, der inzwischen auch munter geworden war, stand auch auf. Mutter erzählte mir am nächsten Morgen, dass sie einen gehörigen Schrecken bekommen hatte. Sie hatte ein Motorrad mit Beiwagen erkennen können, auf dem ein Mann, bekleidet mit einer wattierten Steppjacke hockte.
Was lag näher, als zu glauben, die ersten Russen wären da. Erst als eine Stimme rief: » Adele, nun mach schon auf! « , erkannte sie ihren Bruder Gustav. Gustav hatte sich auf eigenes Risiko von der nicht all zu weit entfernt liegenden Truppe entfernt, um uns mitzuteilen, dass alles aus sei, und wir uns auf die Vertreibung aus dem Sudetenland vorbereiten sollten. Er blieb nur den Rest der Nacht bei uns und verschwand im Morgengrauen wieder zu seiner Einheit. Ich war durch das Stimmengewirr auch wach geworden, konnte Onkel Gustav gerade noch begrüßen, ehe Mutter mich wieder ins Bett scheuchte.
Bald hielt der Winter Einzug und begann bereits Anfang Oktober mit einigen Schneeflocken auf sich aufmerksam zu machen. Da bekam ich meine ersten Ski vom Woiner–Tischler. Ski und Stöcke waren schwarz. Ich war so stolz, dass ich sofort von der Tischlerei meine ersten Laufversuche in Richtung Markt unternahm.
Es wurde Februar, und an manchen Tagen schien die Sonne so stark, dass sich das erste Gras in den getauten Löchern im Schnee sehen ließ. Bei meinen Ausflügen in der Umgebung fand ich auf den Ästen der Büsche und auf dem Boden blanke Streifen aus Silberpapier. Ich sammelte einige davon auf und brachte sie nach Hause. Mutter wusste auch nicht was das sein sollte. Vater sah sich die ca. 30 Zentimeter langen und ca. 4 Zentimeter breiten Streifen an und erinnerte sich dann, davon gehört zu haben.
Diese Streifen wurden von feindlichen Flugzeugen abgeworfen, um die Funkortung zu erschweren. Warum die Streifen jedoch über unserem Dorf abgeworfen wurden, konnte er sich auch nicht erklären.
FLucht nach Aussig
Mitte Februar 1945 wurde das letzte Kapitel Neustadt geschrieben.
Über Nacht hatte man alle Gefängnisse geöffnet und die Strafgefangenen liefen in die Häuser, um ihre Sträflingskleider gegen Zivilkleider umzutauschen. So kamen sie auch in unsere Wohnung, sicher nicht ganz zufällig, dazu wohnten wir viel zu unauffällig, sondern sie hatte einen Tipp bekommen. Vaters Hosen waren ihnen zu weit, und Gustavs Stiefel viel zu lang und zu dünn. Doch sie fanden trotzdem einige Kleidungsstücke, zogen sich um und hinterließen uns ihre stinkenden gestreiften Hosen und Jacken.
Da meine Eltern nicht wussten, was der nächste Tag in Neustadt bringen würde, bat uns Vater am 28. Februar 1945 nach Aussig zu gehen, eine Stadt, die weiter westlich und weiter von der Front entfernt lag. Er blieb bei Oma Toni in Neustadt.
So zogen wir beide 180 km westwärts und erreichten nach einigen Tagen die Stadt Aussig. Hier fanden wir Unterkunft bei einer Frau Schandert, deren Wohnung sich auf dem Gelände des Schlachthofes befand. Von dieser Station unserer Flucht sind mir noch Einzelheiten erinnerlich. So musste ich mit einer großen Blechkanne in eines der Schlachthäuser gehen, um Blut zu holen. Daraus machte Frau Schandert eine ganz hervorragende Topfwurst. Als Form nahm sie immer eine Kastenform, die sonst zum Backen genommen wurde. Während ich so über das Gelände des Schlachthofes lief, fielen mir ein paar Blumen auf, die ich noch nicht kannte. Viel später sah ich diese im Biologiebuch, es war Huflattich.
Dann gab es wieder Tage, an denen die Ruhe jäh unterbrochen wurde. Es fing immer damit an, dass im Radio Feindverbände im Anflug über Brüx und Dux gemeldet wurden. Es dauerte danach nicht lange, und die Fliegersirenen heulten im Schlachthof auf. Mit den wichtigsten Sachen verließen wir das Haus, um wie alle anderen, sich in einem in den Felsen getriebenen Stollen in Sicherheit zu bringen. Mir behagte diese dunkle Höhle mit den vielen Menschen überhaupt nicht, und ich weigerte mich, da hineinzugehen.
Ganz in der Nähe war eine schmale Schlucht, die oben von den Bäumen, es waren Buchen, verdeckt wurde. Dort warteten wir dann. In der Schlucht wurden auch Gefangene während der Angriffe untergebracht. Mutter sah sich die Gefangenen an, kam zurück, holte von uns ein paar belegte Brote und brachte sie den Menschen. Sogleich gab es Ärger, denn das Wachpersonal verbot ihr, zu den Gefangenen zu gehen.
Doch wer Mutter kannte, wusste, dass sie diese Anordnung ignorieren würde. Sie ließ sich auf keine Diskussion ein, sondern verteilte die belegten Brote. Der Aufseher, der sie am Arm anfasste, um sie wegzuziehen, bereute es sofort. Sie riss sich so heftig von ihm los, dass er ins Straucheln kam. Dann folgte ein Redeschwall auf den armen Wachmann, dass er nur hilflos die Hände hob, als wollte er sagen: » Ich tue doch nur meine Pflicht.« Aus den Reihen der Gefangenen kam leises, aber hörbares Beifallsgemurmel.
Ich hatte diese Sache nur nebenbei mitbekommen. Viel genauer erinnere ich mich an die kleinen blühenden Pflanzen, die fast die gesamten Hänge der Schlucht bedeckten. Auch hier fand ich später heraus, dass es Buschwindröschen waren.
Sobald der Alarm vorbei war, liefen wir zurück zum Schlachthof. Im Gelände des Schlachthofes, so erinnere ich mich noch deutlich, gab es gedeckte Laufgräben, in denen man bei einem plötzlichen Angriff Zuflucht suchen konnte.
Die Luftangriffe auf die Stadt Aussig hatten zugenommen, so dass sich Mutter am 6. April 1945 entschloss, zurück zu unserem Vater nach Neustadt zu gehen. Am 18. April meldete sie uns wieder auf der Meldestelle an. Sollten wir Neustadt verlassen müssen, so wollten wir uns gemeinsam nach Berlin durchschlagen.
(Fortsetzung der Serie am nächsten Sonntag)
Photo Credit : Aussig-nach dem Sudetenland Lexikon
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