Häuptling Fliegender Bär – (Fortsetzung)
(Eine Kurzgeschichte aus der Nachkriegszeit von Dieter Kermas)
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(….) Bald darauf schaukelte uns die S-Bahn auf ausgefahrenen Schienen zurück nach Friedenau.
Auf der Rückfahrt überlegten wir, wie unsere Kleidung aussehen sollte.
Eifrig suchten wir in den Texten nach Hinweisen. Als wir dann lasen, dass die Kleidung von Winnetou aus weich gegerbtem Hirschleder war, mussten wir uns Alternativen ausdenken.
Günter hatte es gut, weil seine Mutter Schneiderin war. Einige Tage nach unserer Stammesgründung erschien er zum Kriegsrat in voller Indianermontur.
Die Beine seiner alten, kurzen Hose waren durch bunte Bänder verziert, von seinem verwaschenem Hemd hatte die Mutter die Ärmel abgetrennt und die Ärmelöffnungen mit farbigen Kordeln geschmückt. Ein breiter Ledergürtel, der früher sicher einen Ledermantel zusammengehalten hatte, wand sich um seine magere Hüfte. Im Gürtel steckte so etwas wie ein Kriegsbeil aus Holz und eine Zündplätzchenpistole. Seinen Kopf zierte ein breites blaues Band mit einer einzigen weißen Feder am Hinterkopf.
„Uff“, ließ sich Peter vernehmen, „sieht Klasse aus. Da werden wir uns mächtig anstrengen müssen, um mithalten zu können.“ Günter strahlte und fuchtelte wild mit seinem Beil in der Luft umher.
Der heutige Kriegsrat war einberufen worden, weil wir noch keine indianische Namen hatten. Jeder sollte sich zuerst einen Wunschnamen ausdenken. Sollte er auf allgemeine Zustimmung stoßen, so war er angenommen. Manfred wollte sich „Schneller Pfeil“ nennen.
„Ne, halte ich nicht für gut,“ meckerte Klaus. „Könnt ihr euch noch erinnern, als wir mit unseren Flitzebögen Zielschießen gemacht haben? Jeder zweite Pfeil ist bei Manfred bereits vor dem Abschuss zerbrochen. Ich stimme für den Namen„ Gebrochener Pfeil.“
Nach einigem Zögern nickte Manfred und war einverstanden. Klaus entschied sich für „Heulender Wolf“, Peter wollte sich ab sofort „Adlerauge“ nennen. Das stieß auf lautes Gelächter und Klaus rief „Habt ihr schon mal ´nen Adler mit Nickelbrille gesehen? Wie wäre es denn mit „Schielender Büffel“? Als er jedoch sah, dass Peter mit den Tränen kämpfte, beruhigte er ihn sofort mit den Worten. „´Tschuldige bitte, war nicht so gemeint. Adlerauge ist schon in Ordnung,“ und wir akzeptierten den Namen. Günter wollte unbedingt „Rasendes Pferd“ heißen. Wieder war es unsere Spottdrossel Klaus, der seinen Senf dazugeben musste. „So langsam, wie du dich beim Spielen bewegst, kannst du niemals so heißen. Was hältst du von „Müdes Pferd“?.“
„Ja, meinetwegen“, murmelte Günter. Nun war es an mir, einen Namen zu nennen. Ich hatte mir im Voraus einige Namen ausgedacht. „Wie wäre es mit „Grollender Donner“? Fragte ich in die Runde. Da vernahm ich bereits Klaus Stimme: „ Weiß nicht, das hört sich an wie Donner von Kanonen. Das passt nicht.“ Mein zweiter Namensvorschlag wurde angenommen und ab sofort hieß ich „Flinkes Wiesel.“
„Nun haben wir unsere Namen, aber noch keinen Häuptling und auch keinen Medizinmann,“ bemerkte Günter. Heute, viele Jahre später, fällt mir auf, dass keiner von uns auf die Idee kam, einige Squaws unserem Stamm hinzuzufügen. Wir waren eben noch nicht so weit.
„Ehe wir uns schlagen, um zu sehen, wer der Stärkste ist, schlage ich vor zu losen,“ meinte Peter. Wir waren einverstanden.
Zu dieser Zeit wurden die Vorderseiten von Zigarettenschachteln gesammelt und getauscht.
Peter hatte seine Sammlung dabei und wir nahmen eine Schachtel, teilten sie in fünf Stücke, schrieben drei Mal Krieger, einmal Medizinmann und einmal Häuptling auf. Die gefalteten Papierschnipsel nahm Klaus in seine holen Hände, schüttelte sie kräftig und wir zogen unser Los. Peter zog einen Krieger, Manfred ebenfalls, Günter ließ ein täuschend echtes Indianergeheul vernehmen, als er Medizinmann zog. Klaus hielt mir seine offenen Hände entgegen und forderte mich grinsend auf „Nun zieh schon den Häuptling.“
Ich öffnete mein Los und sein Grinsen war wie weggewischt. Ich las Häuptling und für ihn blieb nur der dritte Krieger.
Schnell hatte er seine Enttäuschung überwunden und suchte nach einem neuen Opfer für seinen Spott. „Eh, Günter, kann dir deine Mutter nicht lange Hosen machen?“
Arglos erwiderte Günter „Da muss ich mal fragen, vielleicht macht sie das für mich.“
„Wäre sicher gut für uns, wenn die feindlichen Krieger nicht deine dünnen O-Beinchen sehen müssten,“ hänselte er unsensibel wie immer und steigerte sich mit „aber zum Reiten sollen O-Beine ja vorteilhaft sein“. Schon schossen Günter wieder die Tränen in die Augen und Peter gab Klaus einen Stoß vor die Brust und meinte „Du bist ein Idiot!“
Dann fragte mich Heulender Wolf: „Wie bist du denn auf Flinkes Wiesel gekommen?
„Da muss du dich noch bis morgen gedulden,“ vertröstete ich ihn. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag um vier Uhr. Jeder sollte mit möglichst kompletter Indianerkleidung erscheinen.
*****
Kaum zu Hause angekommen wartete ich ab, bis Mutter in der Küche das Abendbrot vorbereitete. Ich schlich zum großen Kleiderschrank, der im Schlafzimmer stand. Oben war ein Fach, wo sich Hüte, Schals und auch ein schwarzer Karton befanden, nachdem ich trachtete. Damit ich an das obere Fach herankam, benutzte ich eine Fußbank. Schnell hob ich den Deckel des Kartons ab und zerrte heftig an meiner Beute. Es waren zwei Nerzpelze, komplett mit Köpfen, die am hinteren Ende zusammengenäht waren. Vorne wurden sie durch eine Kette mit Verschluss verbunden. Mutter legte sie sich zu besonderen Festtagen um. Das war damals eben die Mode. Dann baumelten hinten die Hinterbeine und die mageren Schwänzchen, während vorne die beiden Nerze mit Glasaugen den Betrachter anklagend anstarrten.
Für den Abtransport hatte ich mir meinen Brotbeutel, den ich von einem US-Soldaten geschenkt bekommen hatte, mitgebracht. Die Fußbank wurde wieder verstaut und der Brotbeutel ganz hinten im Wäscheschrank versteckt. Etwas mulmig war mir doch. Wenn Mutter die Nerze in den nächsten Tagen ausführen wollte, dann gnade mir Gott.
(Fortsetzung folgt nächste Woche – Story continues next week)
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© Dieter Kermas
Image: ‘Lewis and Clark on the Lower Columbia’, Gemälde aus dem Jahr 1905 von Charles Marion Russell———————————————————————————————————————––-

Dieter Kermas, CaliforniaGermans Guest Author and a true Berliner, turned to writing after he retired from his profession as an engineer. Family and friends urged him to document his many experiences during his childhood in wartime Germany. This made for a collection of various essays which have been published here at CaliforniaGermans. (You can find the stories here on CaliforniaGermans.com by putting “Dieter Kermas” into the Search Box.) Apart from his childhood memories he is also sharing some of his short stories and poems on CaliforniaGermans.
Dieter Kermas, who loves to write, is currently working on his first novel. Some of his work has been included in anthologies.
To get in touch with Dieter Kermas, please send an email with subject line “Dieter Kermas” to: californiagermans@gmail.com
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