Jagdbeute
(Eine Kurzgeschichte von Dieter Kermas)
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Wir hatten uns ans Ufer der Isar gesetzt. Nach wenigen Minuten drückten die Flusskiesel so unangenehm, dass mein Cousin Jörn zum Auto ging, um eine Decke als Sitzunterlage zu holen. Der Fluss schob leise rauschend sein Wasser talwärts. Die frühmorgendlichen Sonnenstrahlen reflektierten an den vielen kurzen Wellen und blendeten unsere Augen. Der südlich blaue Himmel ließ auf einen heißen Frühjahrstag schließen. Zu dieser frühen Stunde hatten noch keine anderen Ausflügler den Weg zu den Isarauen gefunden.
Ich döste entspannt vor mich hin, als ich gefragt wurde: »Was essen wir heute?«
Schlagartig war der Zauber des wohligen Nichtstun vorbei.
»Hab noch nicht darüber nachgedacht«, erwiderte ich kurz. Meine Absicht wieder in das vorher so herrliche Gefühl des sich Treibenlassens zurückzukehren, gelang mir nicht mehr. In diesem Moment war ich echt sauer auf meinen Cousin.
Nach etwa einer halben Stunde schlug ich vor zu gehen. »Warum hast Du es denn so eilig?«, wurde ich gefragt. Ich blieb die Antwort schuldig, faltete die Decke zusammen und begann die Böschung emporzustapfen. Ich blieb plötzlich so abrupt stehen, dass mein Cousin mir fast in die Hacken trat. »Was ist denn los, warum bleibst du stehen?« fragte er mich.
»Da, siehst Du denn nicht was dort im Gras kriecht? «, antworte ich ganz aufgeregt.
»Na, i seh nix«,kam es nun bayerisch zurück.
»Da ist unser Essen für heute«, flüsterte ich, als ob die Weinbergschnecken mich hören könnten.
»Willst du etwa…«, der Rest seines Satzes wurde durch seine Mimik ergänzt. Mit den Worten:»Halt mal solange«, gab ich ihm die Decke. Das erste Exemplar war schnell von seiner Futterpflanze gepflückt und meine Augen suchte bereits nach den nächsten Verwandten.
Nachdem ich vier Stück mit der linken Hand festhielt, wurde mir klar, ich brauche einen Transportbehälter. Mein Jagdeifer war nun voll entfacht. Zum Auto zu laufen um etwas Brauchbares zu holen, kam nicht in Frage. Mir fiel mein Taschentuch ein. Es war recht groß und als provisorischer Sammelbehälter wohl geeignet. Nach gut zehn Minuten hatte ich ein Dutzend der behausten Mollusken in das Taschentuch eingeknotet. Jörn hatte sich indessen abgesetzt und erwartete mich oben auf der Böschungskante. Beim Wagen angekommen verstaute ich die Beute auf der Hutablage vor dem Rückfenster.
Nach etwa vierzig Minuten Fahrt wollte ich einen Traktor überholen. Um keinen nachfolgenden Wagen zu behindern, sah ich kurz in den Innenrückspiegel. Das, was ich sah, ließ mich den Überholvorgang abbrechen. Die Gefangenen hatten es geschafft und waren entkommen. Zwei von ihnen zogen gerade ihre schleimigen Bahnen über das Rückfenster. Um nachzusehen, ob weiteren Schnecken die Flucht gelungen war, fuhr ich bei der nächsten Gelegenheit von der Straße ab. Mein Cousin hatte von all dem nichts mitbekommen und fragte, warum ich anhielte. Ich zeigte nur wortlos an die Decke. Da hing bereits ein Ausreißer direkt über seinem Kopf.
Mit ungewohnter Flinkheit sprang mein Beifahrer aus dem Wagen und rief:»Deine Viecher kannst Du Dir selber wieder einfangen.« Das tat ich und bald hatte ich wieder elf Kameraden im Taschentuch verstaut. Nur Nummer zwölf war nicht auffindbar. Gut, dachte ich, dich suche ich eben später. Auf dem Rückweg, bei dem das Wort Essen mit keiner Silbe mehr erwähnt wurde, holte ich vom Bäcker Reiser ein paar Semmeln und eine Flasche Weißwein am Kiosk vor dem Bahnhof. Wenn schon, denn schon, dachte ich. Dann sollte mein Schneckenmenü auch stilecht zelebriert werden.
Zu Hause angekommen eilte ich in die Küche. Das Taschentuch legte ich in das Spülbecken und überlegte, wie es nun weitergehen sollte. Weinbergschnecken hatte ich schon gegessen aber wie bereitet man sie zu? Die Frage musste nun gelöst werden. Zuerst kochen, dass konnte erst einmal nicht falsch sein. In einen großen Topf kochte ich Wasser mit etwas Salz auf. Dann sprach ich zu den Delinquenten:»Es ist soweit, gleich seid ihr im Schneckenhimmel«,und warf sie nacheinander in das kochende Wasser. Nach fünf Minuten, war ich sicher, das sie alle ihr Leben ausgehaucht hatten. Ich schüttete sie in ein Sieb und spülte sie mit kaltem Wasser ab. Soweit, so gut. Mit einer großen,aufgebogenen Sicherheitsnadel zerrte ich die Schnecken aus den Häuschen. Ich besah sie mir nun wie ein Pathologe und entfernen die Köpfe sowie das, was wie schwarze Därme aussah. Es war ein mühseliges Gefummel. In diesem Moment fiel mir auf, dass mein Cousin, der anfangs noch meinem Treiben zugesehen hatte, nicht mehr in der Küche war. Hat wohl schwache Nerven, dachte ich.
In der Speisekammer fand ich, hurra, ein paar Knoblauchzehen und aus seinem Garten holte ich Petersilie. Zuerst stopfte ich die Schnecken in ihre Häuschen zurück. Dann schnitt ich den Knoblauch und die Petersilie in ganz feine Stückchen. Diese vermischte ich mit Butter und füllte diese in die Schneckenhäuser. In eine Pfanne füllte ich ein ganzes Päckchen Salz, setzte die Schneckenhäuser so hinein, dass die Öffnungen nach oben zeigten und machte den Backofen an. Als die Temperatur einhundertundachtzig Grad erreicht hatte, schob ich die Pfanne hinein und stellte die Küchenuhr auf eine halbe Stunde.
Dann ging ich auf die Terrasse, wo ich meinen Cousin mit grämlicher Miene vorfand. »Du glaubst doch nicht etwa, dass ich von deinem Ungeziefer mitesse«, rief er mir zu. Ich war leicht beleidigt über das Wort Ungeziefer und sagte, dass er diese Delikatesse sowieso nicht zu würdigen wüsste. Als Ersatz versprach ich, ihm einen Nudelsalat zu machen. Die Nudeln wurden gekocht und abgeschreckt. Mit Essig, Senf, Zwiebeln, Mayonnaise, Wurststreifen und Gewürzgurken war der Salat schnell zubereitet. Ehe ich fertig war, klingelte der Wecker . Damit mein Essen nicht kalt wurde, ließ ich die Pfanne im Ofen bei geöffneter Tür stehen. Es roch verführerisch nach Knoblauch.
Den Salat für meinen Cousin brachte ich mit Besteck und Teller auf die Terrasse.
Als ich mit meiner Schneckenpfanne, den aufgeschnittenen Brötchen und einem Glas Weißwein nach draußen ging, sprang Jörn auf und eilte mit seinem gefüllten Teller an mir vorbei ins Haus, wobei er vermied auf die Schnecken zu schauen. Mit einem unbeschreiblichen Gefühl der Vorfreude ließ ich mich nieder und zog die erste Weinbergschnecke mit der Nadel aus dem Häuschen. Langsam, genussvoll biss ich in das schwärzliche Etwas und begann zu kauen. Und ich kaute und kaute. Ich musste mir eingestehen, dass die Schnecke von leicht gummiartiger Konsistenz war. Zusammen mit der leckeren Knoblauch-butter, einem Happen Weißbrot und einem Schluck Wein, kam es ein wenig an den erwarteten Genuss heran.
Nachdem ich alle elf Schnecken verputzt hatte, fühlte ich mich richtig gut. Sicher hat der Wein einen Teil zu meinem Hochgefühl beigetragen. Weinbergschnecke Nummer elf fand ich am nächsten Tag innen an der Frontscheibe.
Heimlich setzte ich sie im Garten aus.
© Dieter Kermas
Photo: © Eatsmarter.de
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Dieter Kermas, CaliforniaGermans Guest Author and a true Berliner, turned to writing after he retired from his profession as an engineer. Family and friends urged him to document his many experiences during his childhood in wartime Germany. This made for a collection of various essays which have been published here at CaliforniaGermans. Apart from his childhood memories he is also sharing some of his short stories and poems on CaliforniaGermans. Dieter Kermas, who loves to write, is currently working on his first novel. Some of his work has been included in anthologies.
To get in touch with Dieter Kermas, please send an email with subject line “Dieter Kermas” to: californiagermans@gmail.com
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