Berliner Schulzeit
.Essays by Dieter Kermas – (Part 15)
.Die Zeit in der 18. Volksschule in der Albestraße ging ohne große Ereignisse vorbei. Zusammen mit Peter Benduski war ich im Winterhalbjahr 45/46 eingeschult worden. Sein Vater hatte die Körner-Apotheke in der Hauptstraße 70. Alsbald entwickelte sich eine dauerhafte Freundschaft zwischen uns, die auch jetzt nach gut und gerne sechzig Jahren nicht an Lebendigkeit verloren hat. So trafen wir uns morgens zum Schulgang, standen mit unseren Essgeschirren Schlange, um die Schulspeisung zu fassen, und kippten beide fast immer den Eintopf aus Trockenmöhren an den nächsten Kastanienbaum vor der Schule. Nudeln waren uns lieber. Später gab es noch Kakao, für den die Eltern, die in der Lage dazu waren, etwas zuzahlen mussten.
Übrigens begann die bekannte Firma » Pfennigs – Mayonnaise « auf einem Hinterhof, in einem Schuppen, schräg gegenüber unserer Schule, kurz nach dem Krieg, mit der Herstellung von Mayonnaise und Salaten. Die ersten Produkte bestanden, den Umständen entsprechend, mehr aus Mehl und Ersatzstoffen, und erfreuten sich bei uns zu Hause keiner großen Beliebtheit.
Lausbubenstreiche
Nach Schulschluss liefen wir nicht jedes Mal denselben Weg nach Hause, sondern machten gerne Umwege, um Neues zu entdecken. So trabten Peter und ich eines Tages über den Lauterplatz, bogen um die Ecke vom Rathaus Friedenau in die Hauptstraße ein. Warum auch immer,die Neugier trieb uns an diesem Tag in die großen, vergitterten Rundbögen der Kellerfenster zu sehen. Ich bemerkte, dass dicht am Fenster, das Glas war zersplittert und nur noch in Resten vorhanden, Holzkisten standen. Diese waren übereinander gestapelt und teilweise auseinander gebrochen. Nicht allzu weit vom Gitter lag eine große, flache Blechdose. Mit Mühe und immer der Gefahr ausgesetzt, mich an den zackigen Glasrändern zu schneiden, gelang es mir die Dose bis zum Gitter zu ziehen. Auf den letzten Zentimetern ging auch noch der Deckel auf. Heraus quoll ein Filmstreifen. Da ich die Büchse sowieso nicht durch das Gitter bekommen hätte, begann ich den Film herauszuziehen. So zogen und wickelten wir abwechselnd den Streifen bis zum Ende heraus und machten dass wir wegkamen.
Erst zu Hause bei Peter besahen wir uns unsere Beute genauer. Wir sahen auf dem Film Marschkolonnen mit Soldaten, Menschenmassen, Rednertribünen und so weiter. Das interessierte uns recht wenig. Aus »Erfahrung« wussten wir, dass Filmmaterial, es war überwiegend noch aus Celluloid, sich wunderbar eignete, um daraus Stinkbomben zu machen. Am nächste Schultag war Generalprobe. Eine garnrollendicke Filmmenge wurde in Zeitungspapier gewickelt und in der Pause auf dem Schulhof heimlich in einer Ecke angezündet. Jetzt kam es darauf an, die sofort aus dem Papier schlagende Stichflamme auf dem Boden auszutreten, damit sich so richtig der dicke, gelbe beißende Qualm entwickeln konnte. Es gelang uns so gut, dass die Hofaufsicht angesprintet kam, um die Ursache dieser Qualmwolke herauszufinden. Nur unsere blitzschnelle Flucht vom Tatort weg, und das Eintauchen in der Menge der anderen Schüler, rettete uns vor üblen Folgen. Meine angerußten Finger hielt ich schnell noch auf der Toilette unter Wasser. Hätte jemand aber an unseren Schuhen gerochen, wäre das Spiel aus gewesen.
Die Zeit des großen Enttrümmerns begann
Wo es genügend Ruinen gab, bot es sich an, den Schutt rationell mit kleinen Schmalspur-Lorenbahnen abzufahren. Die Schienen wurden auf dem Fahrdamm verlegt und führten zu einer Sammelstelle, von der der Weitertransport des Schutts mit Lastwagen vorgenommen wurde. Die Loren reizten uns natürlich ungemein.
Kaum waren die letzte Trümmerfrau und der letzte Arbeiter verschwunden, waren wir auch schon zur Stelle. So führte zum Beispiel eine lange Bahnstrecke vom Ruinengrundstück an der Hauptstraße, die Hähnelstraße entlang und bog dann in Lauterstraße ein. Zur Sicherheit wurden die Loren seitlich gekippt abgestellt. Bald wussten wir, wie wir sie wieder in Normalposition bringen konnten. Dann kletterten ein paar von uns hinein, während einige Kameraden begannen, die Loren zu schieben. Das machte einen Heidenspaß. Besonders beliebt waren Strecken, wo ein Gefälle die Fahrt beschleunigte, und die Loren am Ende so schön aufeinander krachten. Im Nachhinein ist mir noch schleierhaft, dass keine abgefahrenen Füße oder gebrochene Arme zu beklagen waren.
Wenn so ein Haus abgeräumt worden war, so blieben nur die von den Trümmerfrauen sorgfältig vom Mörtel befreiten Ziegelsteine übrig, die auf dem Bürgersteig, und manchmal auf dem Grundstück selbst, zu großen Stapeln aufgeschichtet wurden. Die Stapel hatten oft eine Länge von sechs bis acht Metern, eine Breite von zwei bis drei Metern und eine Höhe von knapp zwei Metern. Bald hatten wir herausgefunden, dass sich hier einfach und schnell Buden bauen ließen. So begannen wir oben in der Mitte eines Stapels die Ziegelsteine herauszunehmen, und etwas mehr am Rand wieder aufzuschichten. Nach einer Weile hatten wir uns in den Ziegelstapel hineingefressen und so weit ausgehöhlt, dass in der Mitte ein behaglicher großer Raum entstanden war. Auch eine Treppe wurde geschaffen. Jetzt wurde die Öffnung noch mit einer oder zwei Blechtüren abgedeckt und wir hatten ein prima Versteck. Hier saßen wir dann, rauchten die trockenen Stängel vom Wilden Wein, husteten mit tränenden Augen, und fühlten uns als ganze Kerle.
Doch nach dem Sprichwort: » Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt «, fanden wir oft am nächsten Tag unsere Buden eingestürzt oder anderweitig unbrauchbar gemacht. So begann der Krieg der verschiedenen Banden gegeneinander. Rachedürstend überfielen wir wiederum unsere Gegner, zerstörten deren Buden, bewarfen sie mit Pflastersteinen oder schlugen uns gegenseitig Stöcke um die Ohren. So war es auch an dem Tag, als wir, die Wielandstraßenbande das Gebiet der Ceciliengärtenbande betreten wollten. Ein wütendes Abwehrfeuer mit Steinen und Katapultgeschossen schlug uns entgegen. Neben mir erhielt Peter Persson einen faustgroßen Pflasterstein in den Magen, worauf er wie ein Taschenmesser zusammenklappte. Er rappelte sich auf und verschwand zusammengekrümmt heimwärts. Doch welch Wunder, kaum zwanzig Minuten später sah ich ihn zurückkommen, in der linken Hand eine riesige Marmeladenstulle, und in der rechten Hand bereits das nächste Wurfgeschoss. Sobald eine Partei merkte, dass es schlecht um sie bestellt war, raste einer los, um die größeren Brüder oder älteren Freunde zu holen. Das war auch meist das Zeichen für den Gegner nun den Zwist zu beenden.
(Fortsetzung der Serie am nächsten Sonntag) Photo: “Freunde” – Dieter Kermas .———————————————————————————————————————————————

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