Essays by Dieter Kermas – (Part 22)
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Eine kleine Auswahl an Erlebnissen , die in Erinnerung blieben
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Seeräubersäbel
Ach ja, da gab es noch die Geschichte mit dem Säbel, der in der Stierstraße in einer Ruine frei und einsam an der Wand im dritten Stock hing. Die Zwischen-decken vom vierten bis zum ersten Stock waren heruntergebrochen, sodass es an ein Wunder grenzte, dass der Säbel noch dort hing. Wie oft versuchten wir, diesen Säbel zu ergattern. Wir warfen Steine, hofften mit hakenbeschwerten Strippen endlich ans Ziel zu kommen, alles vergeblich. Einen Versuch vom Dach des Nachbarhause wagten wir nicht, war die Höhe doch zu beängstigend.
Langsam begannen wir, die Geschichte des Säbels zu erfinden. Zeitweilig waren wir sicher, dass er Eigentum eines Seeräubers gewesen war, doch auch die Idee, der Besitzer könnte ein alter General gewesen sein, klang gut. Unsere Fantasien wurden jäh zerstört, als wir nach dem Ende eines Schultages bereits von Weitem das Horn des Sprengmeister hörten. Es kam aus Richtung Stierstraße. Ehe wir jedoch die Straße erreichten, erschütterte ein dumpfer Knall die Luft. Wir bogen um die Ecke und konnte gerade noch sehen wie sich langsam die Staubwolke über » unsere Säbelruine « legte. Aus und vorbei. Nur die Erinnerung blieb erhalten.
Ein diplomierte Strassenfeger – Die Amis – Schlittschuhfahren auf dem Löschteich und mehr
Von kleinen Begebenheiten, die mir selbst nach so vielen Jahren im Gedächtnis haften geblieben sind, möchte ich noch berichten.
Eine davon betraf meinen Vater, der mit unserem Spitz Peggy Gassi ging. Als er nach einiger Zeit wieder nach oben kam, erzählte er uns Folgendes: Er hatte ab und zu beim Gassigehen einen Straßenfeger bemerkt, dessen Aussehen nicht recht zu der Tätigkeit passte, die er gerade verrichtete.
Er war nach seinen schlohweißen Haaren zu urteilen viel zu alt, um diese Arbeit zu erledigen. Seine goldgefasste Brille verstärke den Eindruck, dass er bessere Tage gesehen haben musste. An diesem Tage nahm sich Vater ein Herz und sprach den Mann an. Soweit ich mich erinnere, stellte sich heraus, dass dieser Straßenfeger ein Prof. Dr. Dr. Ing. war und für das » Dritte Reich « in einem chemischen Betrieb, der für die Wehrmacht arbeitete, eine führende Stelle als Wissenschaftler eingenommen hatte. Nachdem seine Entnazifizierung nicht zu seiner Entlastung geführt hatte, musste er auf diese Weise sein tägliches Brot verdienen.
Eine Geschichte ganz anderer Art war diese: Uns Gören war bekannt, dass am Grazer Damm viele Wohnungen von Amerikanern bewohnt waren. Bald hatten wir auch eine Art Gemeinschaftsverpflegungsstelle entdeckt, wo für die Amis gekocht wurde. In der Nähe der Küche war in einer Häuserecke eine Grube ausgehoben, in der die Köche die Küchenabfälle hineinwarfen.
Es dauerte nicht lange, da stellten wir fest, dass oft Büchsen mit Marmelade, Corned Beef, Fett und halbe Weißbrote auf dem Haufen zu finden waren. Da wir immer Hunger hatten, schlichen wir hin und wieder zu unserem Zusatz-versorgungsdepot um etwas Essbares zu ergattern. Das ging einige Zeit gut. Dann, eines Tages, stürzte ein weißbemützter Koch aus dem Kücheneingang und scheuchte uns, lauthals schimpfend, in die Flucht. Er tat das so nachhaltig, dass wir diesen Ort von da an mieden.
Viel lustiger fanden wir den Tag, als sich ein großer Reifen eines amerikanischen Lastwagens vom Fahrzeug löste, den frischangepflanzten Straßenbaum ab-rasierte, durch das kleine Fenster vom Friseurladen Lindner krachte, und erst nachdem er noch den ersten Friseurstuhl umgeworfen hatte, liegen blieb. Da das vor Geschäftsbeginn geschah, wurde zum Glück niemand verletzt. Sehr bedauerte ich unseren Friseur nicht, denn jedes Mal, wenn Mutter mich zum Haarschneiden scheuchte, litt ich unter der handbetriebenen Haarschneidemaschine, die sich ziepend und zerrend durch meine Haare fraß.
Kam der Winter, so konnte es geschehen, dass wir am Tor unserer Schule einen Zettel vorfanden, auf dem zu lesen war, dass die Schule wegen Kohlenmangels geschlossen sei. Dass wir nicht in Freudentänze ausbrachen, lag an dem Nachsatz, der uns befahl, umgehend zum Unterricht in die in der Nähe liegende beheizte Schule zu gehen. Dort drängte sich dann oft die doppelte Anzahl von Schülern im Klassenraum. Der Unterricht war dementsprechend erfolgreich, kann ich mir denken.
Auf dem Weg zu einer dieser Ersatzschulen kam ich am Friedrich-Wilhelm-Platz immer an einem Löschteich vorbei. Diese Löschteiche hatte man in den letzten Kriegsjahren angelegt, um für die durch die Bombardierung brennenden Häuser stets Löschwasser zur Verfügung zu haben. Diese aus Beton bestehenden Teiche hatten die Abmessungen eines mittleren Schwimmbeckens. Wenn das Wasser gefroren war, so machte es uns Spaß auf dem Eis zu schlittern. Das ging solange gut, solange das Eis auch tragfähig war. Doch ab und zu trog der Schein, und der erste Mutige brach durch die Eisdecke. Nun war das Wasser nicht sehr tief, aber bis zu den Knien stehend, musste er den Spott der Zaghaften über sich ergehen lassen. Erschwerend kam hinzu, dass der nasse Kamerad die Wände, die recht schräg nach oben führten, mühsam hochkriechen musste.
Mir ging es einmal ähnlich, als ich mit meinem Schlitten im besonders kalten Winter des Jahres 1947 auf das Eis des Teiches im Schöneberger Stadtpark fuhr und prompt einbrach. Nachdem ich mich ans Ufer gearbeitet hatte, lief ich pitschnass den recht langen Weg bis nach Hause. Dort angekommen war so gut wie alles an mir gefroren. Ich erinnere mich noch genau daran, dass es Mutter nicht gelang, mir die hohen Schnürschuhe auszuziehen, weil sie völlig vereist waren. Kurz entschlossen nahm sie eine große Schere, schnitt die Schnürung durch und zog mir die Schuhe aus. Eingewickelt in warme Decken, mit heißem Tee von innen aufgetaut, musste ich am heißen Kachelofen sitzen. Ich glaube mich zu erinnern, dass ich damals noch nicht einmal einen Schnupfen bekommen habe.
Dieses Nachkriegskapitel möchte ich nun schließen. Beim Durchlesen meines Manuskriptes stellte ich fest, dass sich alles recht locker und lustig anhört. Sicher geht es mir wie den Soldaten, die nach ihren Erlebnissen im Krieg gefragt, meist nur positive und fröhliche Geschichten zu erzählen wissen.
Fotos von Berlin um 1954

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