Essays by Dieter Kermas – (Part 13)
.Ruinen
Dieses Wort verknüpft man sofort mit Krieg, Zerstörung und Leid. Eine völlig andere Bedeutung hatte dieses Wort für uns Kinder. Für uns war es der Inbegriff für Spielplatz, Abenteuer und Freiheit. Freiheit insofern, dass wir, wenn wir erst einmal in den Ruinen verschwunden waren, kaum von unseren Eltern gefunden werden konnten. Durch die Ruinen fanden wir ungeahnte Möglichkeiten uns auszutoben, Mutproben zu bestehen und lernten auch Schürfwunden, blaue Flecken und ein verstauchtes Bein ohne großes Gejammer wegzustecken.
Wenn ich aus dem Fenster unserer Wohnung in der Hauptstraße 73 in Friedenau sah, blickte ich gegenüber auf die große Eckruine Haupt- Ecke Wielandstraße. Auf der gegenüberliegenden spitzen Ecke Wielandstraße Ecke Hauptstraße stand eine weitere ausgebrannte Ruine, in deren Erdgeschoss sich die Kneipe » Zur Ameise « befunden hatte. Die zwei anschließenden Häuser in der Wielandstraße waren ebenfalls Ruinen.
In meiner näheren Umgebung hatte ich reichlich Auswahl an dieser Art von Spielplätzen. So gab es noch ein gut erhaltenes Ruinengebäude an der Hähnel- Ecke Hauptstraße, am Anfang der Stierstraße, drei in der Hedwigstraße und einige andere. Gut in Erinnerung ist mir noch eine ausgebombte Friedenauer Villa an der Ecke Lauterstraße / Albestraße. Sie war mein bevorzugtes Objekt nach Schulschluss. In dieser dreigeschossigen Villa konnten wir so richtig herumtoben, Schnee und Maiglöckchen aus dem Nachbargarten mopsen und zum Muttertag mit einem riesigen Fliederstrauß zu Hause Eindruck schinden.
Weniger fröhlich hingegen war eines Tages die Tatsache, dass just in dieser Villa ein Unfall geschah. Zwei bereits etwas größere Jungen hatten das Pech, mitsamt der Geschossdecke vom dritten in den zweiten Stock hinunterzustürzen und unter dem Schutt eingeklemmt zu werden. Wie wir später erfuhren, hatte sich einer die Beine gebrochen, während dem anderen die Wirbelsäule gebrochen wurde, und er querschnittsgelähmt sein Leben verbringen musste.
Die Ermahnungen unserer Eltern bezüglich dieser Tragödie, nicht mehr in den Ruinen herumzuklettern, hielten sicher nur so lange, bis wir außer Sichtweite des Elternhauses waren.
Heizmaterial
Ach ja, ehe ich es vergesse, eine Bombe hatte einen großen Teil des Seiten-gebäudes unseres Hauses in Schutt und Asche gelegt. Da Wohnungsnot bestand, hatte man einen Teil unserer großen Wohnung, die einen zweiten Ausgang zum Seitenflügel hatte, um zwei Räume und einem weiteren, zu einer Küche umfunktionierten Raum, abgeteilt und vermietet.
Da sich die Zentralheizung gerade in dem Teil befunden hatte, der so stark beschädigt worden war, mussten die Mieter Öfen aufstellen, um die Wohnräume zu beheizen. So sehe ich noch immer ein elend langes Ofenrohr vom Behandlungsraum kommend, quer durch das Herrenzimmer an der Decke entlanglaufend und erst im Esszimmer im Schornstein endend, vor mir. Besonders der Tag, als ein Haltedraht in der Mitte des Zimmers vom Rohr riss, und sich eine Rußwolke auf alle Gegenstände und den Teppich legte, ist mir noch lebhaft in Erinnerung.
An zweiter Stelle nach der Sorge um die täglichen Lebensmittel stand im Winter die Jagd nach Holz und Kohlen. Die Zuteilung reichte kaum aus, und so war man genötigt, sich etwas einfallen zu lassen. Mutter hatte schon oft beobachtet, dass im Morgengrauen, oder spät am Abend, kleine Familientrupps Holzbalken, Türen, Treppenstufen und Treppengeländer auf kleinen Handwagen durch die Straße zogen. Es dauerte nicht lange, so konnte ich aufgrund meiner Ruinenkenntnisse berichten, dass in einigen, der nicht ausgebrannten Ruinen, in den Aufgängen noch teilweise die Geländer und Treppenstufen vorhanden seien. Selbst Parkett konnte man noch in einigen Zimmern vorfinden. Doch ehe wir uns einen kleinen Handwagen aus dem Fahrgestell meines großen Stoff-bernhardiners gebastelt hatten, und uns entschlossen hatten, an diesen Beute-zügen teilzunehmen, waren alle leicht erreichbaren Möglichkeiten geplündert.
Durch einen Zufall sah ich, wie am Anfang der Sponholzstraße ein paar Männer die Haustür eines nur mäßig beschädigten, aber unbewohnten Hauses aufbrachen und bald darauf mit Stühlen, Schranktüren und anderen Holz-gegenständen herauskamen. Ich flitzte nach Hause, um Mutter diese Entdeckung mitzuteilen. Vater war von unserer Absicht, uns ebenfalls mit Brennmaterial aus diesem Haus zu versorgen nicht erbaut, gab aber schließlich nach.
Wir holten unseren » Volkswagen «, wie Mutter unsere kleine Transportkarre getauft hatte, aus dem Keller, bewaffneten uns mit einem Beil, einer Säge und nahmen noch einen Kartoffelsack für Kleinholz mit. So ausgerüstet zogen wir zu dem erwähnten Haus. Die Kunde von dieser neuen Fundgrube hatte sich schneller herumgesprochen, als wir dachten. Als wir eintrafen, tobte die Schlacht bereits im Treppenhaus und in allen Etagen. Um in das zweite Stockwerk zu gelangen, mussten wir uns den Weg durch diejenigen bahnen, die gerade dabei waren die Treppenstufen herauszureißen und das Treppengeländer abzusägen.
Oben angekommen betraten wir eine Wohnung, die nicht wie eine Ruine aussah, eher hatte man den Eindruck, dass die Bewohner jeden Moment zurückkommen könnten. Ein Mann war dabei, mit einer langen Brechstange das Parkett herauszuhebeln, während ein jüngerer, vielleicht sein Sohn, die Parkettstücke in Säcke stopfte und wegschleppte.
Das Piano
Wir hatten nicht das richtige Werkzeug, um ebenfalls dem Parkett zu Leibe zu gehen, und suchten in den hinteren Räumen nach anderen Brennmaterialien. Die Zimmer, durch die wir kamen, waren leer, kein einziges Möbelstück war zu sehen. Wir wollten schon enttäuscht zurückgehen, als wir in einem großen, zum Garten gelegenen Raum etwas entdeckten. Was da groß, schwarz glänzend und still vor unseren Augen stand, war ein unbeschädigter Flügel. Ich klappte den Deckel auf, der die Tastatur verdeckte, und klimperte auf den Tasten herum. Was nun tun? Sollten wir wirklich aus diesem schönen Musikinstrument schnödes Brenn-material machen?
Mutter überlegte kurz und sprach dann: » Womit fangen wir an?« So wuchteten wir zuerst den großen hochstellbaren Deckel zwei- oder dreimal mit Gewalt über seine Scharnierarretierung, bis er abfiel. Auf gleiche Weise ging auch der Tastendeckel zu entfernen. Dann folgte die schwerste Arbeit, und zwar mit dem Beil die einzelnen Seitenteile herauszuschlagen. Dies gelang Mutter nicht, da das Beil zu klein und zu leicht war. Wir erhielten unerwartet Hilfe von einem Mann, der im Nebenzimmer begonnen hatte auch das Parkett herauszubrechen. Er kam zu uns, sah unser Problem, und half kurzer Hand mit seiner langen Axt die Seitenteile herauszuschlagen. Dann holte er aus, schlug mit mehreren Axthieben eines der Beine aus seiner Verankerung, und der Flügel ging mit wimmernden Saiten in die Knie. Wir bedankten uns und Mutter begann, die andere beiden Beine abzusägen.
In dieser Zeit hatte ich mit dem kleinen Beil vorsichtig die mit rotem Filz bezogenen Hämmerchen, die zum Anschlagen der Saiten dienten, herausgelöst und in den Sack gestopft. Nach mehr als zwei Stunden Arbeit, betrachteten wir unsere Ausbeute und fanden sie recht mager. Drei Beine, und mehrere auseinandergesägte Seitenverkleidungen lagen auf unserem Wägelchen. Wir legten noch den Tastendeckel und ein eben so langes Teil der Frontverkleidung dazu und fanden es immer noch zu wenig. Der große abgebrochene Flügel, oder besser gesagt der Deckel, war als ein Stück zu schwer zum Wegschleppen, und ihn kleinzusägen hätte Mutter nicht geschafft. Auch der recht massive Rahmen, an dem die Saiten befestigt waren, widerstand den Sägeversuchen. Wir mussten uns mit unserer Beute zufriedengeben, und den Weg nach Hause antreten.
Da es problematisch werden könnte, mit den schweren, unhandlichen Verkleidungsteilen die teilweise demontierten Treppenstufen hinunterzusteigen, warfen wir diese kurz entschlossen aus dem Fenster in den Garten. Dann nahm ich unser Wägelchen und das Werkzeug, während Mutter den Sack mit den Pianobeinen die Treppe hinunterschleppte. Unten luden wir die anderen Teile auf und zogen heimwärts.
Übrigens, ehe ich es vergesse, aus den filzbezogenen Hämmerchen stellte ich kleine Stühle und Bänke her, die mir von den Puppenstubenmüttern regelrecht aus der Hand gerissen wurden.
(Fortsetzung der Serie am nächsten Sonntag) . Photos: Dieter Kermas personal collection, Photo of a ruin in the Hauptstrasse before and after the clean-up .———————————————————————————————————————————————

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