Zeichen Einer Neuen Zeit – der Krieg holt uns ein
Essays by Dieter Kermas – (Part 4 )
.Bald jedoch begannen sich in Neustadt die Zeichen einer neuen Zeit bemerkbar zu machen.
So fuhr ich eines Tages mit meinem Roller in Richtung Bahnhof, als ich kurz vor der Station einen Menschenauflauf, Pferdegespanne und sogar einen Lastkraftwagen sah. Da hatte man, sicher schon Tagen vorher, Baumstämme quer über die Straße senkrecht eingegraben, in mehreren Reihen hintereinander. Dann waren waagerechte Bäume eingelegt worden, und nun war man gerade dabei, die Hohlräume zwischen diesen beiden massiven Holzverhauen mit Sand und Steinen aufzufüllen. Nur in der Mitte war ein kleiner Durchgang gelassen worden, durch den eine Person gerade noch hindurchpasste. Ich sah eine Weile zu, fuhr dann nach Hause, um diese Neuigkeit zu erzählen. Vater, der sich im letzten Moment ebenfalls bis zu uns durchgeschlagen hatte, meinte, das sei sicher eine Panzersperre. Darunter konnte ich mir nichts vorstellen und schenkte dem Bauwerk weiterhin keine Beachtung.
Hier ist sicher noch Platz, um kurz zu schildern, wie Vater den Weg zu uns fand.
Im Jahr 1944 hatte man begonnen, alle Männer zu erfassen, die für die Verteidigung der Heimat, nach der Meinung der Militärs, noch in irgendeiner Weise einsetzbar wären. Der sogenannte » Volkssturm « wurde ausgerufen. Wer sich noch selber bewegen konnte, wurde erfasst, gemustert und einer der Volkssturmabteilungen zugewiesen. Alter und Behinderungen spielten keine Rolle. Als Vater mit seiner Gehbehinderung, mühsam seinen Weg bis auf einen Schulhof in Berlin-Schöneberg gefunden hatte, standen dort bereits Männer jeglichen Alters und teilweise in erbarmungswürdig gesundheitlichen Zustand. Ein grauhaariger Offizier, ihm fehlte ein Arm und über einem Auge trug er eine schwarze Binde, hielt eine flammende vaterländische Rede und ließ zur Probe an jeden einen Karabiner verteilen. Da Vater, der nie ohne Stock ein längeres Stück gehen konnte, nun auch noch den Karabiner mit der anderen Hand entgegennehmen musste, fiel ihm das nicht leicht. Er wandte sich an den auf und abschreitenden Offizier mit den Worten: » Haben Sie nicht etwas Leichteres? « Nachdem sich das Gebrüll des Angeredeten etwas abgeschwächt hatte, verstand mein Vater, dass er sich am nächsten Morgen beim Kommandanten zum Rapport einzufinden hätte.
So erschien Vater am nächsten Morgen mit einer dicken Aktentasche voller Atteste, Krankheitsgeschichten und weiteren ärztlichen Gutachten, warf sie dem Vorgesetzten auf seinen Schreibtisch, empfahl diesem, alles gründlich zu lesen und verließ, ohne eine Antwort abzuwarten, den Raum. Einige Tage später fander trotzdem seine Einberufung zum Volkssturm in der letzten Kategorie vor. Nun war es ihm klar, dass er Berlin schnellstens verlassen musste. Mit sehr viel Glück und Umwegen traf Vater am 2. Februar 1945 bei uns ein. Wie uns ein Hausbewohner nach unserer Rückkehr erzählte, hing bereits drei Tage später ein Suchaufruf nach meinem Vater wegen Fahnenflucht oder so ähnlich an unserer Haustür.
Doch auch in diesen wirren Zeiten klappte die preußische Ordnung. Am 3. Mai 1945 erhielt Vater in Neustadt ein Schreiben vom
» Deutschen Volkssturm, Gau 32, 2. Kompanie, 405. Bataillon «,
in dem ihm mitgeteilt wurde, dass er aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes vom Volkssturm entlassen sei.
(Fortsetzung der Serie am nächsten Sonntag)
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