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Heckenrose

Heckenrose-Kermas

Heckenrose

(Eine Kurzgeschichte von Dieter Kermas)
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Meine Bekannte schwärmte wie herrlich es sei, auf einem Pferd durch die Natur zu reiten. Ihre Begeisterung steckte mich an und kurz darauf bezahlte ich die ersten Reitstunde. Ihr Hinweis, mir doch einen Damenschlüpfer zu kaufen, hielt ich zunächst für einen Scherz. Die Begründung, dass Damenschlüpfer keine dicken Nähte hätten und somit nicht wie Männerunterhose auf dem Sattel drücken würden, überzeugte mich.

Im Trikotagengeschäft. „ Ich hätte gerne einen Schlüpfer.“
Die ältere Verkäuferin darauf:„ Welche Größe hat die Dame?“
„Der Schlüpfer ist für mich!“
„Ach so.“ Die hochgezogene Augenbraue sagte mehr als Worte.

Ausgestattet mit einem Paar gebrauchter Reitstiefel, alten Jeans und Damenunterwäsche, begab ich mich zum Pferdestall.
„Neu?“, kam die kurze Frage von einem jungen Mann.
„Ja!“.
„Ick heiße Hans und du?“
„ Dieter.“
„Noch nie auf ́m Pferd gesessen?“
„Nein.“
„Dann gebe ick dir erst mal Galla!“
„Aha.“
Hans ging voran, blieb bei einer Box stehen, zeigte auf einen Schimmel und erbot sich, ihn für mich zu satteln. Danach führte er die gesattelte Galla vor den Stall und zeigte mir, wie man ein Pferd besteigt. Zeigen und tun sind zwei sehr verschiedene Dinge. Das Tier erschien mir gewaltig hoch zu sein. Ehe ich länger darüber nachdenken konnte, hörte ich Hans: „Nu mach schon, die Nächsten warten!“
Mit seiner Hilfe gelang es mir schließlich, den Pferderücken zu erklimmen. Nachdem die Höhe der Steigbügel korrigiert war, führte mich Hans in eine dämmrigen Reithalle.
Das erwartete erhabene Gefühl, auf einem Pferd zu sitzen, stellte sich nicht ein.
In der Halle saßen, nein hockten bereits zwei Mädchen und eine langhaarige Hippiefigur auf ihren Vierbeinern. Hinter mir kamen noch zwei Anfänger.
Der Reitlehrer erschien, ordnete die Pferde in eine Reihe und los ging der Unterricht.

Zügel richtig halten, aufrecht sitzen, Stiefelspitzen in die Steigbügel und, und, und. Halb bewusstlos versuchte ich den Anweisungen Folge zu leisten. Ab und zu erhielt ich einen recht barschen Zuruf, weil ich einen Fehler machte. Das nervte. Galla erwies sich gottlob als hervorragendes Anfängerpferd. Durch ihre ruhiges ausgeglichenes Gemüt konnte ich mich auf die Anweisungen des Reitlehrers konzentrieren. Selbst wenn ich sie nicht richtig umsetzte, wusste Galla was sie zu tun hatte. Dann war die Stunde endlich um, und ich rutschte mit feuchten Händen und etwas zittrig von meinem Zossen. Die feuchten Hände hatte sicher nicht Galla zu verantworten, vielmehr lag es an der Konzentration, die Anweisungen des Trainers zu verstehen und sie so gut es ging zu befolgen. Meine Galla am Halfter in den Stall führend, überkam mich doch noch so ein wenig Stolz, meine erste Reitstunde überlebt zu haben.

Es folgten einige Monate der Erfolge und auch der Niederlagen. Nach und nach hatte ich auf allen Verleihern gesessen und deren Vorzüge und Nachteile kennengelernt. Meine anfängliche Naivität, ein Pferd mit gutem Zureden, oder mit Zuckerwürfeln, zu den gewünschten Aktivitäten zu überreden, wurde durch die Realität brutal zerstört. Pferden muss man eindringlich, gegebenenfalls mit Sporen und Gerte, klarmachen, was sie machen müssen. Je mehr sich der Gaul vor den Folgen seines Ungehorsams fürchtet, desto williger führt er Befehle aus. Basta! Es kam die Zeit, wo ich mir mein Pferd aussuchen konnte, wobei sich etwas Taschengeld für Hans als hilfreich erwies.

Eines Tages, ich hatte gerade den Kampf mit dem widerspenstigen Kosak für mich entschieden, fragte Hans: „Haste nich Lust für ́n paar Tage mit zu unser ́m Gestüt nach Schleswig‐Holstein zu fahren?“
Oh ja, dachte ich. Endlich nicht immer in einer Halle im Kreis herumtraben.

Den Preis für zehn Tage Reiten einschließlich Unterkunft und Verpflegung fand ich akzeptabel und meldete mich an.
Eine Woche später fuhr ich zum Reiterurlaub zu einem Gestüt, das in der Nähe von Kellinghusen liegt.

Welch ein Unterschied zum Reitstall in Berlin. Großzügige Ställe, behagliche Pension und weitläufige Landschaft. Bereits am nächsten Morgen lernte ich auch die Schattenseiten des Reiterlebens kennen.
Kaum hatte ich den letzten Bissen vom Frühstück gegessen, rief mir Hans zu: „Ick zeije dir jetzt, wat de zu machen hast.“ In kurzer Zeit, gottlob von erholsamen Ausritten unterbrochen, lernte ich Ausmisten, füttern, die Pferde striegeln, Hufe auskratzen und so manches Nützliche rund um den Gaul.

Dann kam der Tag, an dem mich Hans beiseite nahm und mir fast verschwörerisch die große Neuigkeit ins Ohr flüsterte. „Übermorjen machen wir eenen stundenlangen Ausritt zum Tag des Pferdes. Du hast noch nich so lange Reitunterricht, aber vielleicht kann ick den Chef dazu überreden, dat de mitdarfst.“ Das wäre die Krönung meines bisherigen Reiterlebens, ging es mir durch den Kopf.

Nachdem noch ein Schein den Besitzer gewechselt hatte, versprach Hans, sich für meine Teilnahme stark zu machen.
Am Morgen des großen Ausrittes, der Reitstallbesitzer hatte sich beschwatzen lassen, mich mitzunehmen, bekam ich als Ergänzung der Kleidung noch ein schwarzes Jackett und eine helle Krawatte zum Oberhemd geliehen.

Auf dem Hof versammelten sich acht Reiter mit ihren Privatpferden und wir, die Gäste. Wir waren aufgeregt, welches Leihpferd uns zugeteilt würde. Ich hatte mein Auge auf einen riesigen Rappen geworfen, den ich als gutmütig und zuverlässig kannte. Nein, den bekam ich nicht. Nun blieben nur ein älterer Brauner und ein kleiner Fuchs übrig. Hans schob mich bis zum Fuchs und sagte zum Chef:

„Heckenrose ist jenau richtig für Dieter.“ Aha, Heckenrose hieß meine Pferdedame.
Sie war zierlich, lebhaft und hatte eine angeborene Fehlstellung der hinteren Fesseln.
Ob die wohl durchhält? Lange konnte ich nicht darüber nachdenken. Es hieß „Aufsitzen“ und los ging der Tross.
Die frühherbstliche Luft war kühl, wir ritten im Schritt und Heckenrose befolgte brav meine Hilfen.
Über den abgeernteten Feldern schwebten Nebelschwaden und lösten sich mit der höher steigenden Sonne rasch auf. Im nächsten Dorf gesellten sich weitere Reiter zu uns. Ich staunte über prachtvolle Pferde, die, so erzählte mir Hans, von den Söhnen reicher Bauern geritten wurden. Hans ritt an meine Seite und sagte mit gedämpfter Stimme: „Wenn die Bauernlümmel beginnen einen Kreis zu reiten, dann sieh zu, dat de nicht mit in die Spirale jezogen wirst. Det kann janz schön int Ooge jehn.“
Inzwischen waren wir auf eine stattliche Anzahl von etwa fünfzig Reitern angewachsen.

Unvermutet begannen die ersten Reiter das Tempo zu verschärfen.
Ehe ich mich versah, befand ich mich mitten in einer donnernd dahinrasenden Pferdeherde. Plötzlich begannen die an der Spitze reitenden Bauernsöhne in einen Kreis einzubiegen und diesen immer enger zu ziehen. Ehe die Spirale geschlossen war, brachen sie aus. Die nachfolgenden Reiter, ahnten nichts und galoppierten voll in die Falle. Im Inneren des Kreise prallten die ersten Pferdeleiber zusammen. Ich versuchte Heckenrose zurückzunehmen, um etwas langsamer zu werden, keine Chance. Ich dachte an Hans ́ Worte und zerrte mit allen Kräften an einer Seite des Zügels, um zu verhindern, dass mein Pferd ebenfalls in den Hexenkessel hineingezogen wurde. Es gelang. Heckenrose streckte sich und flog, dicht an dem Pferdeknäuel vorbei, über das Gelände. Ich wurde gründlich durchgeschüttelt. Dann stellte ich mich in die Steigbügel und hoffte, dass mein Pferdchen nicht plötzlich anhalten möge. Mit Mühe gelang es mir in einem weiten Bogen zurück zum Pulk zu reiten.
Eine Reiterin war durch den Anprall mit einem anderen Pferd aus dem Sattel geschleudert worden und am Boden liegend, wurde ihr Handgelenk durch einen Pferdehuf gebrochen. Ein Reiter nahm sich der Frau an und begleitete sie zur Behandlung in den nächsten Ort. Dankbar klopfte ich meinem Pferdchen den Hals, dass es nicht stur den anderen Pferden gefolgt war.

Nachdem wir uns vom Schrecken erholt hatten, ging es im Galopp quer über die abgeernteten Felder in Richtung eines Waldsaumes. Die ersten Reiter bogen auf einen Waldweg ein. Zu meinem Schreck sah ich, wie ganz vorne die Pferde begannen über ein Hindernis zu springen. Schlagartig kam mir zum Bewusstsein, dass das für mich übel ausgehen könnte, war ich doch noch nie über ein Hindernis gesprungen.
Hans sah wohl mein erschrockenes Gesicht, ritt neben mich und brüllte mir zu: „Wenn sie springt, nimm den Arsch aus ́m Sattel.“ In der nächste Sekunde sah ich gerade noch die etwa einen Meter hohe Absperrung, als sich unter mir der Pferdekörper mit Urgewalt in die Höhe hob. Dann tauchte der Pferdekopf nach unten, ich warf mich nach hinten, zog die Zügel fester und dann hatten wir das Hindernis überwunden. Meine Reiterkappe war im hohen Bogen davongeflogen. Heckenrose bekam ich nicht zum Stehen, so dass Hans zurückritt und mir die Kappe mit einem anerkennenden Grinsen überreichte.
Erst jetzt kam mir zum Bewusstsein, ich bin gesprungen. Dankbar klopfte ich nun zum zweiten Mal den Hals meiner Heckenrose und versprach ihr eine Handvoll Zuckerstückchen.

Nun ritt die Mannschaft schnurstracks in Richtung Ostseestrand. Mit Juchu und Juchei trabten wir voll in die Fluten. Den Pferden ging das Wasser bis an den Bauch und wir mussten unsere Stiefel aus den Steigbügeln nehmen und in die Höhe halten. Es war eine Mordsgaudi.
Dann ritten wir wieder ein Stück landeinwärts und machten Rast auf einem Gutshof. Erst jetzt bemerkte ich, das der Ritt Heckenrose angestrengt haben musste, nach dem Schaum vor ihrem Maul zu urteilen. Nachdem sich Reiter und Pferde ausgeruht und erfrischt hatten, traten wir in gemäßigtem Tempo den Heimweg an. Nach und nach verließen uns Reiterkollegen, bis nur wir übrig waren. Müde, erschöpft, doch rundherum glücklich, sattelte ich Heckenrose ab, versorgte sie, schob ihr die versprochenen Zuckerstückchen ins Maul, duschte ausgiebig und fiel todmüde ins Bett.
Am nächsten Morgen, den Tag der Abreise, verabschiedete ich mich von meiner Heckenrose und versprach ihr, sie nie zu vergessen.

© Dieter Kermas

Photo:© Dieter Kermas———————————————————————————————————————–

Dieter Kermas, CaliforniaGermans Guest Author and a true Berliner, turned to writing after he retired from his profession as an engineer. Family and friends urged him to document his many experiences during his childhood in wartime Germany. This made for a collection of various essays which have been published here at CaliforniaGermans. Apart from his childhood memories he is also sharing some of his short stories and poems on CaliforniaGermans. Dieter Kermas, who loves to write, is currently working on his first novel. Some of his work has been included in anthologies.
To get in touch with Dieter Kermas, please send an email with subject line “Dieter Kermas” to: californiagermans@gmail.com
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